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Wie geboren für diesen Beruf

Portrait Emily Lang

  1. Portrait Emily Lang

Von einem Aufwachsen zwischen Oper und Ballett, Qi Gong und Jin Shin Jyutsu, Stimme und Atmung, Körper und Psyche, Kunst und Therapie.
Von Fluch und Segen eines Lebens am Theater zwischen Freude und Frust, Kreativität und hierarchischen Strukturen.

Von unausgesprochenen Worten, die sich auf Stimmlippenebene festsetzen, ungehörten Stimmen und unsichtbar gewordenen Korsetten.

EMILY MARIE LANG – 1998 geboren und aufgewachsen in einer Kleinstadt in Niedersachsen – kommt aus einer richtigen Künstlerfamilie: Ihr Vater ist in seinen Zwanzigern als Opernsänger aus den USA nach Hannover gekommen, um in Deutschland Gesang zu studieren. Nach einigen Theaterstationen bekam er in Bremen eine Festanstellung im Ensemble, was der sechsköpfigen Familie eine Sicherheit in diesem sonst so prekären Arbeitsumfeld gab. Nachdem ihre Mutter mehrere Jahre ebenfalls am Theater auf der Bühne stand – als Balletttänzerin – , bildete sie sich in vielerlei Hinsicht weiter. Heute arbeitet sie als heilpraktische Psychotherapeutin und als Atemtherapeutin nach Ilse-Middendorf mit diversen Zusatzausbildungen in der traditionellen chinesischen Medizin wie etwa Qi Gong und Jin Shin Jyutsu. So waren in ihrem Elternhaus damals schon die Themen Stimme, Atmung, Körper und künstlerische sowie therapeutische Arbeit sehr präsent.

Wir müssen beide lachen, denn als Emily das so aufzählt, scheint es so, als wäre sie wirklich für diese besondere Ausbildung zur Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin geboren und aufgezogen worden – als die Synthese aus all den Disziplinen, die diesen Beruf ausmachen.

Selbsterfüllende Prophezeiungen in einem Haus voller Musik

Emily wächst in einem hochmusikalischen Haushalt auf. Ihr Bruder spielt Schlagzeug – inzwischen professionell –, ihre eine Schwester Cello und Klavier, die andere Bratsche, und Emily entscheidet sich letztlich für Geige. Ihr vorheriger Klavierunterricht fand jäh ein Ende, nachdem ihre Lehrerin sie konfrontiert hatte, wenn sie nicht übe, könne sie es gleich lassen und die fünfjährige Emily konterte gekonnt: „Dann lassen wir es gleich.“ Diese Vorstellung der schlagfertigen und schelmischen kleinen Emily bringt uns zum Schmunzeln. „Meine Eltern haben uns sehr machen lassen, nie gedrängt.“

Es wurde naturgemäß ebenfalls viel gesungen im Hause Lang. „Ich wollte auch immer Gesangsunterricht nehmen, aber mein Vater war da sehr vorsichtig, da er selbst schlechte Erfahrungen im Einzelunterricht gemacht hatte. Selbst dem Singen im Chor stand er kritisch gegenüber: ‘Wenn du im Chor singst, musst du deinen eigenen Klang angleichen, anpassen.‘ Sie wollten nicht, dass ich mein Eigenes verliere.“

Ihren ersten klassischen Gesangsunterricht hatte sie dann mit 16, doch ihre Lehrerin habe sie tatsächlich direkt am Anfang mit zu schwerer Literatur überfordert, womit sich die Befürchtung ihres Vaters erfüllte. „Ich war noch nicht so weit.“ Sie bekam allmählich vom Singen Halsschmerzen, sodass sie nach einem halben Jahr aufhörte. Erst später konnte sie der Ursache auf den Grund gehen...

Die Ursachenforschung muss noch etwas warten, denn in diesem Moment werden wir aus Emilys Biografie in die Gegenwart gerissen, als Vladi seinen Kopf durch die Tür steckt, uns irritiert anguckt und die Tür wieder schließt.

Manchmal muss man erst seine Flügel finden, um zu seinen Wurzeln zurückkehren zu können...

Ihr Vater kannte das Konzept Schlaffhorst-Andersen, denn am Bremer Theater gab es einen Atem-, Sprech- und Stimmlehrer – Ekkehard Lampe-Steinhage --, der mit Sänger:innen aus dem Ausland an der Aussprache deutscher Opern arbeitete.

So kam Emily also mit 19 zum Informationstag hier an die Schule, spürte ihr tiefes Interesse, jedoch zugleich einen inneren Widerstand: „Die Ausbildung war für mich zu dem Zeitpunkt noch zu nah an den Berufen meiner Eltern. Ich wollte erst einmal etwas anderes machen.“

Sie habe überlegt, Psychologie zu studieren, und hatte einen Platz in den Niederlanden. Stattdessen entschied sie sich für Kulturwissenschaften in Lüneburg mit Bildungswissenschaften im Nebenfach. Popular Music Studies, Musik und auditive Kultur waren ein Schwerpunkt, aber sie habe sich auch sehr für Kulturtheorie und -analyse sowie philosophischere Themen begeistert.

Wenn unausgesprochene Worte auf die Stimme schlagen...

„Die Themen Stimme und Singen haben mich aber nicht losgelassen.“ Deshalb ging Emily zum Glück im ersten Semester in Lüneburg zu einem HNO-Arzt, der ihr eine Dysphonie attestierte und eine Stimmtherapie verschrieb. Diese Diagnose habe sie sehr entlastet – es handelte sich um eine behandelbare funktionelle Stimmstörung. Emily wurde damals schon bewusst, dass bei Stimmstörungen oft auch psychogene Faktoren eine Rolle spielen. So können unterdrückte Emotionen uns nicht nur auf die Stimmung schlagen, sondern sich auch auf die Stimme legen, sie belegen und blockieren.

„Auch war das Singen in meiner Familie nicht immer ganz stressfrei.“ So habe sie auch mitbekommen, wie stressig ein Theateralltag sei, was es bedeute, von seiner Stimme beruflich und finanziell abhängig zu sein und welch ein Druck dadurch entstehe, wenn sie mal nicht funktioniere.

„Welche Stimmen werden gehört?“ – Gender und Stimme

„Das Studium war sehr spannend und hat mich sehr geprägt.“ Emily tauchte ein in die Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, Gesellschaftstheorien, Gender, Post-Kolonialität und weiteren soziologischen Themen.

Ein roter Faden zwischen Studium und Ausbildung waren Themen von gesellschaftlichen Machtstrukturen, Gender und Stimme: „Welche Stimme wird gehört? Ein Sinnbild von Unterdrückung ist, nicht sprechen zu können, keine Stimme zu haben. Im letzten Jahrhundert haben sich Atemschulen entwickelt – vornehmlich von Frauen, die sagten: Ich kann nicht atmen, ich bin nicht frei. Seitdem hat sich einiges getan. Doch das Korsett hat sich nicht aufgelöst, es ist nur subtiler geworden. Seit Frauen mehr Rechte haben, ist vieles ins

Unsichtbare gerutscht. Ich merke einfach, diese Themen haben mich schon immer beschäftigt.“ So schrieb sie auch ihre Abschlussarbeit in Gender Studies.

„Hab es sehr geliebt am Theater, aber es frisst einen auch mit Haut und Haaren.“

Nach dem Bachelor habe sie sich auf verschiedene Master und Praktika beworben sowie vielerlei Erfahrungen bei Praktika gesammelt. Bei einigen Dramaturgie- und Regieassistenzen hatte sie Gelegenheit, das Theaterleben, das sie bisher nur aus zweiter Hand durch ihre Eltern, vor allem ihren Vater kannte, am eigenen Leib kennenzulernen. „Hab es sehr geliebt am Theater, aber es frisst einen auch mit Haut und Haaren.“ Die einbrechende, vieles bremsende Pandemie ließ sie darüber nachdenken, wie sie eigentlich arbeiten wolle, was ihr wichtig sei und ob sie sich das Theater als das hierarchische Gefüge, das es leider immer noch sei, wirklich zumuten wolle.

Mit den eigenen Flügeln zurück zu den Wurzeln – Der Ruf der Stimme

Sie hatte vorerst den Master Culture & Organization begonnen, als sie doch wieder auf die Schlaffhorst-Andersen-Ausbildung zurückkam: „Mein Bauchgefühl sprang hier am meisten an, weil eben so viele Themen verbunden werden, die mich interessieren: Psychologie, therapeutisches Arbeiten, Stimme, Musik, Arbeit mit Menschen...“

So ist Emily einige ganz eigene Stationen und viele wertvolle Erfahrungen später doch noch zur Ausbildung gekommen, ist hier stimmlich wie persönlich weiter aufgeblüht und hat inzwischen den Abschluss als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin in der Tasche.

Text: Nora Krohn

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